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Reizüberflutung

von Fidelio Köberle

Seit C. G. Jung haben wir gelernt, die Menschen zu unterteilen in »Extravertierte« und »Introvertierte«. Hierbei handelt es sich um zwei grundsätzlich verschiedene Tendenzen und Orientierungen. Der Extravertierte ist nach außen gerichtet, der Introvertierte nach innen. Um es an Berufen zu verdeutlichen, dann gehört der Marktschreier zur ersten, und der Mönch zur zweiten Gruppe. Der eine ist laut, der andere leise.

Wer unser Leben etwa in den letzten Jahrzehnten überblickt, der wird feststellen, daß wir immer extravertierter geworden sind. Das ging schleichend vor sich, so daß es nicht jedem auffallen muß. Der Begriff »Besinnlichkeit« ist inzwischen zu einem Fremdwort geworden. Früher stand in jeder Wohnung ein Klavier, und die Kinder mußten Klavierspielen lernen. Es gab Kammermusik, und der Besuch des Theaters gehörte zum Leben dazu. Man las am Abend Bücher, machte Handarbeiten oder traf sich zum Gespräch mit Freunden etwa am Stammtisch. Heute zappt man von einem Fernsehprogramm zum nächsten.

Man kann heute die Stille nicht mehr ertragen. Man muß das vermeintliche Vakuum mit starken Eindrücken akustischer oder visueller Art füllen. Unsere Sinne brauchen ständig Futter. Es ist wie eine Droge: Es fing mit kleinen Dosen an, aber nach und nach mußte die Dosis verstärkt werden. Selbst unsere Jugend kann es bei ihrem Treffen in der Disco nur aushalten, wenn es dort richtig schön laut ist. Ihre Anfangsdosis war nämlich schon recht hoch. Im Berufsleben klagen immer mehr Menschen über Streß, also über nervliche Überforderung, etwa durch Hektik.

Niemand kommt mehr richtig zu sich selbst. Oft verursacht durch Umwelteinflüsse, aber auch, weil man vor sich selbst davonläuft in die Ablenkung hinein. Man kann nirgendwo mehr haften. Der Motor läuft ständig auf Hochtouren. Man hat regelrecht Angst vor dem Innehalten. Das könnte ja Nachdenken bedeuten und Erschrecken über den falschen Weg.

Der Leser wird sich jetzt vielleicht fragen, was soll das hier im Mitteilungsblatt des Vereins für Tonbandstimmenforschung? Das will ich ihm gern verraten: Es hat etwas zu tun mit der wichtigsten Tätigkeit bei unserer Forschung, mit dem Abhören. Friedrich Jürgenson wurde nicht müde, uns immer wieder zu ermahnen, das »Lauschen« zu üben, damit wir die »Stimmen« besser erkennen und verstehen können. Er forderte uns auf, in die Natur zu gehen und den leisen, fein nuancierten Lauten, wie etwa dem Gesang der Vögel zuzuhören und unser Gehör an ihnen zu schulen. Unser Ohr ist abgestumpft und reagiert nur noch auf sehr starke Reize, also nur auf das, was laut ist. Das sind unsere Stimmen in der Regel aber nicht. Die meisten muß man mit akribischer Sorgfalt erspüren und aus Störgeräuschen herauslesen.

Etwas weiteres ist uns abhandengekommen: Die Geduld. Ohne sie geht es auch nicht bei unserer Forschung. - Was kann man da tun? Wer ein Haustier oder einen Garten hat, kann viel von ihnen lernen. Die Natur hat die Ruhe weg. Sie kennt keine Hektik und keinen Streß. Wenn man mit ihr eine Einheit werden will, muß man lernen, auf feinste Nuancen, auf Andeutungen und subtile Hinweise zu achten. Ohne echte Sensibilität käme hier nichts zustande. Und so ist es auch mit den Stimmen. Wir wissen nicht, unter welchen, womöglich schwierigen Umständen sie zustandekommen, und warum sie nicht von einheitlich klarer, lauter und ungestörter Qualität sind.

Es ist aber nun einmal so, und wir müssen uns den Gegebenheiten anpassen. Jeder hat neben ein paar lauten viele leise, schwer verstehbare oder versteckte Stimmen, die man aber auch - weil eventuell entscheidend wichtig in der Aussage - nicht missen möchte. Der eine holt sie noch raus, weil er das richtige Hören gelernt und die nötige Geduld entwickelt hat, und der andere nicht.

Ein Schlüssel zum Erwerb der beiden geforderten Eigenschaften kann sein das Innerlich-Zurruhekommen. Eine Technik zum Erreichen dieses Zieles ist in P81 / S. 29 beschrieben worden.

Man erkennt daraus: Eine richtig betriebene Tonbandstimmenforschung ist auch ein persönlicher Entwicklungsweg, der uns innerlich reicher machen kann, neben dem Gewinn neuer Erkenntnisse über das Leben nach dem Tod.


(Quelle: VTF-Post P 85, Heft 4/96)